Vor kurzem kritisierte mich eine Mutter mal wieder heftig dafür, dass es in meinem Sportunterricht auch schlechte Noten gibt. Ihrer Meinung nach sollte im Sport die schlechteste Note 3 sein, alles andere würde die Kinder „demotivieren“ und ihnen den Spaß am Sport verderben. Obwohl diese Meinung bei vielen Schülern, Eltern und (leider auch) Lehrern verbreitet ist, halte ich sie für falsch.
Das Thema „Noten im Sport“ ist natürlich viel zu komplex um in einem kurzen Blogeintrag angemessen behandelt zu werden. Ich möchte mich deshalb nur mit einem einzigen Aspekt beschäftigen, nämlich dem Zusammenhang zwischen Noten und (De)Motivation. Es geht also im Folgenden NICHT z.B. um „subjektive“ vs. objektive Benotung und die Frage, welche davon im Sport dominieren sollte oder die Frage, ob Sport überhaupt benotet werden sollte. Es geht auch nicht um allgemeine Erziehungsfragen wie „Sollte man Kinder vor Anstrengung und Enttäuschung bewahren?“, „Werden schulische/sportliche Leistungen automatisch besser, wenn ich ein Kind nur oft genug lobe?“ usw.
Bevor man über Noten diskutiert, muss man erstmal klarstellen, welche Art von Noten man überhaupt meint. Im Folgenden schreibe ich ausschließlich über EINZELnoten, also nicht über ZEUGNISnoten. Die Zeugnisnote gibt zwar im Normalfall den Durchschnitt der Einzelnoten wieder, muss es aber nicht. Gottseidank haben wir (in Bayern) die Möglichkeit bei der Notenbildung auch noch andere Faktoren wie Mitarbeit bzw. Leistungsbereitschaft und körperliche Voraussetzungen und Konstitution zu berücksichtigen. Solange sich ein Schüler im Rahmen seiner (noch so beschränkten) Möglichkeiten bemüht, bekommt er bei mir im Zeugnis die Note 4, auch wenn seine objektiven Leistungen eigentlich schlechter waren.
Anders verfahre ich bei Schülern, die z.B. extreme motorische Defizite haben und deshalb gar nicht mehr richtig am Sportunterricht teilnehmen können, weil sie selbst nach mehreren Stunden z.B. den Badminton-Ball bei der Aufgabe nicht treffen. Nach Rücksprache mit den Eltern bzw. dem zuständigen (Kinder-)Arzt befreie ich diese Kinder meistens völlig von der Benotung.
Zurück zur Behauptung „Schlechtere Noten im Sport als 3 demotivieren die Schüler.“ Eine logische Konsequenz dieser Theorie ist, dass man eigentlich überhaupt keine objektiven Leistungen mehr verlangen sollte. Aus meinen Leichtathletik (doc) und Liegestütz (doc) Tabellen geht ganz klar hervor, wer welche Note für welche Leistung bekommt. Was mache ich jetzt mit Schülern, die z.B. auf 1.000 Meter über 6 Minuten brauchen oder nicht mal zwei korrekte Liegestütze zusammenbringen? Soll der auch eine 3 bekommen, obwohl seine „Leistung“ laut Tabelle ganz klar „ungenügend“ ist? Sollen nur noch die laufen, die wollen oder, noch besser, soll überhaupt niemand mehr 1.000 Meter auf Zeit laufen bzw. Liegestütze machen müssen?
Bizarr finde ich an der Forderung nach ausschließlich guten Noten im Sport, dass deren Verfechter offensichtlich ganz ernsthaft glauben, dass sich die Schüler über diese Noten freuen würden. Meiner Meinung nach trifft genau das Gegenteil zu. Nur weil ein Kind irgendeine Note bekommt, bedeutet das ja nicht automatisch, dass es sich nicht mehr mit seinen Mitschülern vergleicht. Es weiß ganz genau, dass es eben nicht „befriedigend“ ist, wenn es im Volleyball kaum einen Ball trifft, auf 1.000 Meter drei Minuten länger braucht als die meisten anderen und nach drei Liegestützen zusammenbricht.
Selbst wenn die Strategie der Kuschelnoten in der Schule funktionieren würde, würde das „wahre Leben“ außerhalb der Schule die Maßstäbe schnell zurechtrücken. Gottseidank treiben doch noch viele Kinder und Jugendliche außerhalb der Schule Sport. Beim Kicken mit Gleichaltrigen wird dann sehr schnell deutlich, dass die 3 in der Schule absolut wertlos ist, wenn man von den anderen ständig nur als „Flasche“ tituliert wird und immer als letzter gewählt wird bzw. gar nicht erst mitspielen darf. Erst vor kurzem hat mich ein Vereinstrainer gefragt, warum die Kinder im Schulsport immer bessere Noten bekommen, obwohl sie in Wahrheit immer schlechter werden. Als ich ihm von dem ganzen Motivationsquatsch erzählt habe, hat er nur noch den Kopf geschüttelt.
Die Fitness der Kinder und Jugendlichen in Deutschland lässt immer mehr nach. Sie ist nach einer Studie der AOK, des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und des Wissenschaftlichen Instituts der Ärzte Deutschlands (WIAD) seit 2001 deutlich messbar zurückgegangen. Die Studie, an der mittlerweile 800.000 Schülerinnen und Schüler teilgenommen haben, stellt außerdem fest: Die Kluft zwischen den Kindern und Jugendlichen, die fit sind, und ihren unsportlichen Altersgenossen wird immer größer. Der Schulsport könnte hier zu entscheidenden Verbesserungen führen. (Quelle)
Wenn man Eltern fragt, wie der Schulsport ihrer Meinung nach solche „entscheidenden Verbesserungen“ bei übergewichtigen und bewegungsfaulen Kindern und Jugendlichen erreichen könne, hört man meistens, dass der Lehrer halt „informieren und motivieren“ müsse. Auf den Hinweis, dass sie als Eltern das doch wohl offenbar ohne Erfolg auch schon in großem Umfang versucht hätten, erfolgt meistens das Eingeständnis, dass alle Bemühungen bei ihrem Kind leider nichts gefruchtet hätten.
Führen Information und Motivation denn bei Erwachsenen dazu, dass sie sich gesünder ernähren, mehr bewegen und das Rauchen aufhören? Zahllose Studien belegen, dass all die schönen Appelle und Kampagnen verpuffen und die meisten Leute erst etwas ändern, wenn sie beim Treppensteigen zu schnaufen anfangen bzw. der Arzt ihnen eindringlich ins Gewissen redet. Warum soll bei Kindern und Jugendlichen etwas funktionieren, was bei einsichtigen Erwachsenen auch nicht klappt?
Indem Eltern, in dem Glauben ihren Kindern etwas Gutes zu tun, intervenieren und den Sportlehrer unter Druck setzen (Zitat: „Sie scheinen wohl nicht der Meinung zu sein, dass Ihre Aufgabe als Lehrer in erster Linie die Motivation und Förderung der Kinder im Sport sein sollte, sondern setzen eher auf Frustration und Blamage“) verhindern sie, dass ihre Kinder das geile, pardon, großartige Gefühl erleben, durch eigenen Anstrengung etwas geschafft zu haben. Heute weiß man, dass dieses Hochgefühl (das durch das körpereigene Belohnungssystem und die Hormone Dopamin, Adrenalin und Serotonin verursacht wird) der entscheidende Antrieb für weiteres Sporttreiben ist. Aus zahllosen Studien weiß man inzwischen, dass Vernunft und Einsicht („Ich bin zu dick und muss was für meinen Kreislauf tun“) auf Dauer eben NICHT ausreichen um sich regelmäßig zu bewegen und sich angemessen anzustrengen. Indem Eltern mit aller Macht verhindern wollen, dass ihre Kinder an einer Herausforderung zunächst einmal scheitern und danach regelmäßig üben müssen (gerade bei Untrainierten sind bei regelmäßigem Training die Fortschritte und Erfolgserlebnisse am Anfang am größten!) um besser zu werden, nehmen sie ihnen die entscheidende Erfahrung, die sie zu weiterem (bzw. lebenslangem) Sporttreiben motivieren könnte.
Absurd finde ich auch die Behauptung, dass nur gute Noten Schüler motivieren sich (mehr) anzustrengen. In fast allen anderen Fächern billigt man schlechten Noten eine „extrinsisch“ motivierende Wirkung zu: „Lern mehr bzw. streng dich mehr an, dann werden deine Noten auch besser.“ Ausgerechnet für Sport, wo der Zusammenhang zwischen Üben und Leistungsverbesserung so evident ist, soll das nicht gelten. Warum?
Betrachten wir die Wirkung von guten Noten mal aus der Sicht eines unsportlichen, bewegungsfaulen Schülers. Egal, was er macht, er weiß, dass er eine 3 bekommt. Warum, um Himmels willen, soll er sich anstrengen? Wie reagieren gute Sportler auf ausschließlich gute Noten? Die absoluten Nieten bekommen eine 3, alle, die es irgendwie ein bisschen können eine 2 und alle anderen eine 1. Was ist eine 1 dann noch wert? Nichts. Kann man sich über eine 1 dann noch freuen? Nein. Motiviert diese 1 dazu sich mehr anzustrengen? Warum sollte man, man bekommt ja auch ganz ohne Anstrengung die 1. An der Wirkung von Noten ändert sich natürlich überhaupt nichts, wenn man die ganze Skala eine Note nach oben verschiebt und verkündet: „Bei mir gibt es keine schlechteren Noten als 4.“
Wie in allen anderen Fächern ist es natürlich der leichteste Weg nur gute Noten herzugeben. Man vermeidet anstrengende Diskussionen mit Schülern und Eltern (und bei Beschwerden mit dem Chef) und hat seine Ruhe. Oft läuft es (wie in anderen Fächern) auf einen stillschweigenden Deal hinaus: „Ich tu euch nichts, wenn ihr mir nichts tut.“ Selbstverständlich sind solche Lehrer auch häufig „beliebt“. Ob sie allerdings auch GUTE Lehrer sind, ist eine ganz andere Frage.
Obwohl diese Zusammenhänge m.E. so einleuchtend sind, weigern sich nach meiner Erfahrung vor allem Sportlehrerinnen beharrlich sie zur Kenntnis zu nehmen bzw. bei ihrer Notengebung zu berücksichtigen. Vor ein paar Jahren habe ich eine Lehrerfortbildung zum Thema Sportnoten geleitet. Unter Anderem ging es auch um die Lustlosigkeit der Mädchen vor allem in der Mittelstufe. Ich erntete nur Unverständnis und Empörung als ich versuchte darzulegen, dass die häufig beklagte mangelnde Motivation und Bewegungsunlust nicht trotz sondern WEGEN der absurd guten Noten entsteht. Auch die Erzählungen meiner zwei Töchter und vieler Schülerinnen bestätigen meine Erfahrung, dass ungerechtfertigt gute Noten genau das Gegenteil vom eigentlich Gewünschten bewirken.
Nehmen wir für die Wirkung von schlechten Noten mal das Beispiel Liegestütze. Aus meiner Tabelle geht klar hervor, wieviele man in welcher Klasse für eine bestimmte Note können muss. Wir machen relativ bald (nachdem wir mehrmals die korrekte Ausführung geübt haben) Noten. Ein Schüler bricht nach dem zweiten Liegestütz zusammen und bekommt eine 6. Natürlich ist die erste Reaktion Enttäuschung und Frustration. Menschen reagieren unterschiedlich auf Enttäuschungen, die einen resignieren, die anderen finden sich nicht damit ab und beschließen etwas zu unternehmen. Wir besprechen im Unterricht, wie schnell man sich gerade im Kraftbereich durch regelmäßiges Training verbessern kann. Ich sage den Schülern, dass wir das Ganze nach ca. vier Wochen wiederholen und sie versuchen können ihre Note zu verbessern (verschlechtern gibt’s bei mir nicht). Nach ein paar Wochen kommt der Schüler wieder, jetzt kann er schon sechs Stück. Das ist zwar (in einer 6ten Klasse) gerade noch die Note 5, aber er hat seine Leistung verdreifacht, dafür lobe ich ihn natürlich und darauf kann er stolz sein. Das Erfolgserlebnis, verstärkt durch das Lob, motiviert ihn zu weiteren Anstrengungen. Nach ein paar weiteren Wochen …
Ein weiterer Aspekt des Themas ist, dass „Kindern und Jugendlichen einen deutlichen Hang zur Selbstüberschätzung derkörperlichen Leistungsfähigkeit [zeigen]. Diese Neigung ist bei Jungen stärker ausgeprägt als bei Mädchen und nimmt mitzunehmendem Jugendalter ab“ (Quelle S. 10). Das erklärt die z.T. drastischen psychologischen Folgen einer Frustration durch eine objektive Leistungsmessung, gerade bei Kindern, die sonst zu den (sehr) guten Sportlern gehören. „Hier sind vor allem Sportlehrer aufgerufen, ihren Schülerinnen und Schülern mehr Realitätssinn nahezulegen und ihnen gleichzeitig zu vermitteln, wo ihre individuellen Schwächen liegen und wieviel Spaß das Notwendige machen kann“ (S. 10). Das mit dem „Spaß vermitteln“ ist allerdings nicht so einfach …
In Bayern wird immer mal wieder diskutiert, ob Sport Vorrückungsfach werden sollte. Die häufigste Begründung lautet, dass man dadurch das Fach „aufwerten“ wolle. Von diesem Vorschlag halte ich überhaupt nichts. Sport genießt in unserer Gesellschaft und gottseidank bei den meisten Schülern ein ausreichend hohes Ansehen, da braucht nichts „aufgewertet“ zu werden. Für die meisten Jungen ist es schlimm genug in Sport zu versagen, völlig unabhängig davon, ob Sport Vorrückungsfach ist oder nicht. Die einzige Konsequenz wäre, dass noch viel mehr Schmusenoten vergeben werden würden, weil ja niemand riskieren möchte, dass jemand wegen Sport durchfällt. Dadurch würde genau das Gegenteil des ursprünglich Intendierten eintreten, das Fach würde ENTwertet. Wenn Sport hingegen kein Vorrückungsfach ist, kann ich z.B. bei schlechten Leistungen und mangelnder Leistungsbereitschaft weiterhin die Note 5 geben, ohne dass ich gleich „eine Schullaufbahn zerstöre“. Die einfachste Möglichkeit Sport aufzuwerten ist m.E. angemessene Leistungen zu verlangen und den Schülern nicht mehr die guten Noten hinterherzuwerfen.
eisen
„Nehmen wir für die Wirkung von schlechten Noten mal das Beispiel Liegestütze. Aus meiner Tabelle geht klar hervor, wieviele man in welcher Klasse für eine bestimmte Note können muss. Wir machen relativ bald (nachdem wir mehrmals die korrekte Ausführung geübt haben) Noten“
Lächerlich und zeitgt wie Sinnfrei der Lehrplan ist .
Ich kann kein einzigen Liegestütze und auch kein einzige Klimmzüge.
Ich wiese 156KG und Stemme im Training 25KG Kniebeugen und 280KG Dead Lift
Ich mache Strongmann
Ich würde bei Ihnen eine 6 bekommen aber mache bei meisteschaften mit lol
Eisen
Noten in Sport / Musik und Kunst sind ein absoluter witz und gehören abgeschafft zumal, wenn dann noch dazu kommt das Lehrer Ihr Programm abspülen und in keinster Weise auf die Schüler/in eingehen.
Alleine die Aussage“ wenn er alles gegeben hat, was unter seinen Voraussetzungen möglich ist“ bekommt er eine 4 ist doch blanker hohn, wie soll also ein Schüler der unter seinen Voraussetzungen alles gegeben hat dann jemals auf eine 3 / 2 oder gar 1 kommen?
so Benotete mal evtl auf einer NAPOLA aber doch nicht auf einer normalen Schule?!
Wenn ich alles gegeben habe und mit maximaler Willenskraft an die Sachen rangegangen bin und trotzdem nur eine 4 bekommt, ist das einfach nur Demotivierend und ich kann es gleich sein lassen.
Ich bin zwar schon 17 Jahre aus der Schule raus aber ein Beispiel von mir, ich war schon immer stämmig und etwas Übergewichtig, will sagen weder der Schnellst noch der Agilste, nun wurden aber (wohl bedingt durch den) Lehrplan ständig Fußball, Völkerball, Volleyball usw gespielt und bewertet, alles Dinge, für die ich körperlich weder gebaut bin, noch dinge die mich Interessiert haben, ich habe in der Freizeit Eisen gestemmt und drücke heute 250KG Kniebeugen mit Freihanteln.
DAS war aber nie gefragt im Sport Unterricht, ich bekam also ständig 5er und 6er.
Das Gleiche in Musik, ich war und bim Heavy Metal fan, ich spiele damals privat gar ok Gitarre benotet wurde man im Praktischen aber nur am Xylophon und im Singen (als Junge im Stimmbruch) logisch war auch hier das ich nur 4 / 5 / und 6er gesammelt habe. auf die Frage, ob ich nicht an der Gitarre benotet werden könnte und er mit dazu eben ein Lied geben könnte oder ich mir selbst ein Aussuche bekam ich nur die Antwort „Steht nicht im lehrplan.“
Wie genau Spiegeln diese Noten nun die Realität wieder?
Ich kann nur jedem Empfehlen schickt Eure Kinder auf eine Montessori Schule da wird auf Bedürfnisse und Fertigkeiten eingegangen und aktiv gefördert.