Zu Hemingway habe ich schon immer ein zwiespältiges Verhältnis gehabt, was wahrscheinlich damit zusammenhängt, dass ich einen Lehrer hatte, für den Hemingway eine literarische Gottheit war, die über jeder Kritik stand. „The importance of Ernest“ konnte man gar nicht hoch genug einschätzen. Aufmüpfigen Schülern ist natürlich nur schwer zu vermitteln, dass es ein Riesenunterschied ist, ob der anbetungswürdige Ernest etwas macht oder ein kleiner nichtswürdiger Schüler. Quod licet Ernest …
Egal ob es um seine endlosen Wiederholungen, seinen läppischen bewusst einfach gehaltenen Satzbau oder seinen Mangel an Verzicht auf Beschreibung war, bei Hemingway war es immer große Kunst und bei mir als Schüler immer Ausdruck mangelnden Sprachvermögens.
Große Texte müssen es aushalten, dass man sie mit heutigen Maßstäben misst. Also könnte man nach der inhaltlichen Besprechung und Analyse von „Old Man at the Bridge“ (in NC B pp. 130–131) z.B. folgende Aufgabe stellen:
„Imagine you work at a publishing house and get „Old Man at the Bridge“ from a completely unknown author. Imagine that the story is exactly the same, only the setting is more modern, e.g. the war in former Yugoslavia. You are supposed to write a report for your boss in which you have to give a clear recommendation whether or not to publish the story.“
Was könnten Gründe für eine ABLEHNUNG der Geschichte sein?
- Nervige Wiederholungen z.B. „smiled“ (13–14) und „dust(y)“ (1, 6, 19, 20). Als Leser habe ich da immer schnell das Gefühl, dass der Autor mich für einen Deppen hält, dem man alles mehrfach sagen muss.
- Unklare Symbolik: Die Geschichte spielt am „Easter Sunday“ (65). So so, hmm, was könnte das bedeuten? Ostersonntag ist ein Symbol für „hope, redemption and salvation“ und das Schicksal des Mannes ist irgendwie ein Beispiel für „tragic irony“, weil es in seinem Leben keine Hoffung mehr gibt. Wenn ein Schüler so etwas Verschwurbeltes zu Papier bringen würde, würde ich ein großes Fragezeichen daneben schreiben. Und was soll das eigentlich mit der Katze …?
- Geringer emotionaler Gehalt. Wirkt eine Geschichte umso intensiver je weniger Gefühle ich beschreibe? Je distanzierter der Erzähler, desto intensiver das Leseerlebnis? Da habe ich doch so meine Zweifel. Die Frage 3 fragt welche der beiden Geschichten überzeugender die „horrors of war“ darstellt. Da könnte man durchaus antworten, dass der Bericht auf S. 129 eindringlicher ist. Warum? Weil z.B. Metaphern verwendet werden („the road choked and swelled“, „streaming alongside the road“ 16–17) die beim Leser Bilder und Gefühle erzeugen im Gegensatz zum belanglosen (?) Dialog zwischen Erzähler und altem Mann.
- „If a writer of prose knows enough about what he is writing about, he may omit things that he knows and the reader will have a feeling of those things as strongly as though the writer had stated them.“ (Hemingway über seine „iceberg“ Theorie) Einspruch Euer Ehren, weniger ist nicht immer mehr. Manchmal einfach nur weniger bzw. zu wenig.
- „vigorous English“? Mal schnell beim LDOCE nachsehen, was das Wort bedeutet: „using a lot of energy and strength or determination“. Energie ohne kraftvolle Adjektive und Kraft bei diesem schlappen Satzbau?
Was könnten Gründe für eine VERÖFFENTLICHUNG der Geschichte sein?
…
PS. Der Titel spielt natürlich auf „The Old Man and the Sea“ an.
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